Die Vereinigung für Vernetzung und Partizipation e.V. aus Berlin berichtet auf ihrer Website über ihre Eindrücke von ihrer Reise nach Vilnius. Auch wir möchten sie gerne mit Ihnen teilen.

Wir waren zur Vorbereitung unserer Jugendbegegnung im Oktober unsere Partnerorganisation “Nash Dom” (dt. “Unser Haus”) in Vilnius besuchen. Unser Haus ist eine belarusische Menschenrechtsorganisation, die sich aktuell vor allem für die Rechte belarusischer Kriegsdienstverweiger*innen und Flüchtlinge einsetzt. Seit der Präsidentschaftswahl vom 9. August 2020 und den darauf folgenden Massenprotesten mussten sich viele belarusische Menschen und Organisationen wegen des Repressionsdrucks ins Exil begeben. Deshalb hat auch Unser Haus seinen Sitz in der litauischen Hauptstadt. Ein Highlight unseres Besuches: Die belarusische Diaspora veranstaltet da jedes Jahr zum 9. August eine Demonstration. Und wir waren dabei.

Weiß-rot-weißes Fahnenmeer

Die Demo startete als Kundgebung auf dem Kathedralenplatz, dem historischen Stadtzentrum von Vilnius. Unser Haupteindruck der Demonstration (wir Kartoffeln konnten weder die belarusischen noch die litauischen Redebeiträge verstehen) war das Meer aus weiß-rot-weißen Flaggen. Gefühlt jede zweite Person hatte eine solche Fahne dabei oder kleidete sich in den Farben. Es ist die Nationalflagge des ersten unabhängigen belarusischen Staats, der von 1918 bis 1919 existierte und eine sozialdemokratisch geprägte Demokratie war. Im aktuellen Belarus wird die Flagge als extremistisch eingestuft und Leute, die sie in der Öffentlichkeit zeigen, werden dafür kriminalisiert. Sie war auch bei den Protesten 2020 ein wichtiges Symbol. Besonders spannend fanden wir: Organisationen arbeiten ihre eigenen Logos in die Flagge ein: Unser Haus hatte eine solche Flagge mit einem Haus in der Mitte, die Sozialdemokraten eine Rose, es gab auch Flaggen mit dem Wappen Litauens.

Fotowand für Gefangene

Sehr eindrucksvoll fanden wir eine Fotowand mit Fotos der weit über tausend politischen Gefangenen in Belarus. Wir hatten vorher mit Unser Haus rote Mohnblumen aus Stoff gebastelt und ihnen welche dagelassen. Die Fotos führten uns nochmals vor Augen, warum die Arbeit von Organisationen wie Unser Haus so wichtig ist.

Kleine Gruppe von Rechtsnationalen

Uns fiel außerdem eine ungefähr fünfköpfige Gruppe mit weiß-schwarz-weißen Flaggen und einem Schwert im Wappen ins Auge. Zum Vergleich: Wir haben leider nicht gezählt, schätzen die Größe der Demo aber auf 1000-2000 Leute. Im Nachhinein haben wir mit unseren Partner*innen aus Unser Haus über die kleine Gruppe gesprochen. Sie bestätigten uns, dass das Leute vom rechten Rand sind, über deren Anwesenheit unsere Freund*innen sehr unerfreut waren. Man habe sich als belarusische Diaspora für diesen einen Tag im Jahr auf eine Art friedliche Koexistenz verständigt: Leute quer durch das politische Spektrum nehmen an der Demo teil, ohne sich gegenseitig anzugreifen. Diese Erfahrung machten auch wir: Während die überwältigende Mehrheit der Demo ziemlich sicher nicht antimilitaristisch war (viele unterstützten die Freiwilligenlegion für die Ukraine), durften wir völlig unbehelligt ein Banner mit einem zerbrochenen Gewehr ausrollen, obwohl das vermutlich auch nicht alle gut fanden.

Demozug

Schließlich lief das Fahnenmeer vom Startpunkt am Kathedralenplatz durch die Stadt bis zur belarusischen Botschaft. Wir konnten kaum Schritt halten und sind schließlich ganz am Ende der Demo mitgelaufen. Dort fielen uns vier schicke breite Typen mit Knopf im Ohr auf. Wir bemerkten, dass wir gerade hinter Sviatlana Tsikhanouskaya laufen (der Präsidentschaftskandidatin, die 2020 die höchsten Erfolgsaussichten gegen Lukaschenka hatte und sich nach der Invasion 2022 zur offiziellen Präsident*in im Exil erklärte). Bevor die Demo bei der belarusischen Botschaft ankam, drehte sie mit ihrem Personenschutz wieder ab.

Mahnmal vor der Botschaft

Direkt am Zaun der Botschaft hinterließen die Demoteilnehmer*innen eine weiß-rot-weiße Flagge und ein Mahnmal aus Fotos von belarusischen Todesopfern. Unter den Todesopfern befanden sich sowohl vom belarusischen Regime Ermordete als auch in der Freiwilligenlegion in der Ukraine gestorbene Belarus*innen. Der Vorwurf an die belarusische Regierung dabei ist klar: Sie unterstützt den russischen Angriffskrieg maßgeblich. Dass damit Schluss sein muss, darauf konnten sich auf der Demo wohl alle einigen.