Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 verblieb eine beträchtliche Anzahl von Atomwaffen auf dem Territorium von Belarus sowie in anderen postsowjetischen Republiken – der Ukraine und Kasachstan. Nachdem Belarus ein souveräner Staat geworden war, stand es vor der schwierigen Entscheidung, die Atomwaffen auf seinem Territorium zu behalten oder sie an Russland abzugeben und als atomwaffenfreies Land dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV, auch Atomwaffensperrvertrag genannt) beizutreten.
In diesem historischen Moment traf Belarus seine Entscheidung.
Vor 21 Jahren, am 22. Juli 1993, trat die Republik Belarus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) bei. Nachdem Belarus 1992 gemeinsam mit Kasachstan und der Ukraine das Lissabonner Protokoll zum Vertrag zwischen der UdSSR und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Reduzierung und Begrenzung strategischer Offensivwaffen (START) von 1991 unterzeichnet hatte, verpflichtete es sich, dem NVV als atomwaffenfreier Staat beizutreten, und wurde bis zum Auslaufen des START-Vertrags im Dezember 2009 vollwertige Vertragspartei. Die Republik Belarus war der erste Staat, der freiwillig und ohne Vorbedingungen oder Vorbehalte auf den Besitz von Atomwaffen verzichtete, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR noch vorhanden waren. Der Abzug der Atomwaffen aus dem Hoheitsgebiet des Landes wurde im November 1996 vollständig abgeschlossen.
Das Vereinigte Königreich, Russland und die USA begrüßten den Beitritt von Belarus zum NVV als atomwaffenfreier Staat und gewährten Belarus Sicherheitsgarantien, wobei sie ihre Verpflichtungen im Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994 festhielten.
Diese Garantien waren jedoch eher politisch als rechtlich bindend, was später kritisiert wurde, insbesondere nach den Ereignissen in der Ukraine im Jahr 2014, der Annexion der Krim durch Russland und schließlich dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ab Februar 2022. Belarus wurde als „hybrider Verbündeter“ von Wladimir Putin durch Alexander Lukaschenko in diesen Krieg hineingezogen, der sich während der belarussischen Revolution von 2020 nur mit Unterstützung Moskaus durch Gewalt und Terror an der Macht hatte halten können.
Am 27. Februar 2022, fünf Tage nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, hielt Alexander Lukaschenko in Belarus ein Referendum ab, um den Status von Belarus als atomwaffenfreies Land zu ändern. Hierfür wurde der Satz „Die Republik Belarus strebt an, ihr Territorium zu einer atomwaffenfreien Zone und den Staat zu einem neutralen Staat zu machen“ aus Artikel 18 gestrichen.
Wladimir Putin erklärte in einem Interview am 25. März 2023, dass Russland beabsichtige, taktische Atomwaffen auf dem Gebiet von Belarus zu stationieren. Gleichzeitig wurde die Fertigstellung eines Lagers für Nuklearsprengköpfe in Belarus bekannt gegeben. Unmittelbar danach begann Russland auch offiziell mit der Stationierung taktischer Nuklearwaffen (TNW) auf dem Hoheitsgebiet von Belarus. Das chinesische Außenministerium reagierte auf die Pläne des Kremls und sprach sich gegen die Stationierung russischer Atomwaffen auf dem Territorium von Belarus aus. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, äußerte „große Besorgnis“ über die Risiken der nuklearen Weiterverbreitung in Belarus.
Am 25. Mai 2023 unterzeichneten Viktor Khrenin, Leiter des Verteidigungsministeriums des Lukaschenko-Regimes, und sein russischer Amtskollege Sergej Schoigu ein Abkommen über die Lagerung russischer Atomwaffen in Belarus. Wie Khrenin selbst und später Lukaschenko erklärten, geschah dies, „weil die der Republik Belarus im Budapester Memorandum vom 5. Dezember 1994 gegebenen Sicherheitsgarantien nicht eingehalten wurden“.
Am 13. Juni 2023 erklärte der belarussische Staatspräsident Alexander Lukaschenko, dass er selbst Wladimir Putin gebeten habe, „die Atomwaffen an Belarus zurückzugeben“, und dass er bereit sei, sie „im Falle eines Angriffs auf Belarus ohne zu zögern“ einzusetzen. Dies deutet darauf hin, dass die Atomwaffen tatsächlich auf belarussischem Staatsgebiet stationiert und der operativen Kontrolle von Belarus unterstellt wurden. GUS-Generalsekretär Sergej Lebedew sprach allerdings von einem „doppelten roten Knopf“, d. h. dass nur beide Staaten gemeinsam die Entscheidung über den Einsatz von taktischen Atomwaffen treffen würden.
In einem Interview mit der russischen Propagandistin Olga Skabeeva am 13. Juni 2023 sagte Alexander Lukaschenko außerdem: „Niemand hat jemals ein Land angegriffen, das Atomwaffen besitzt. Wir haben Raketen und Bomben von Russland erhalten. Ihre Sprengkraft ist dreimal so stark wie die der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Sie können bis zu einer Million Menschen auf einmal töten“.
Zu den in Belarus stationierten taktischen Atomwaffen gehören wahrscheinlich nukleare Sprengköpfe für Iskander-M-Raketensysteme und Bomben für den Abwurf durch Su-25- und Su-30-Kampfjets. Dadurch sind Ziele in einer Entfernung von bis zu 500 Kilometern erreichbar. Die Raketen können mit speziellen Atomsprengköpfen mit einer Sprengkraft von 5 bis 50 Kilotonnen bestückt werden. Das zweite Element des russischen Atomwaffenarsenals sind freifallende Atombomben für SU-25-Kampfjets. Dabei handelt es sich um kleinkalibrige Bomben, deren Sprengkraft 15-20 Kilotonnen nicht übersteigen dürfte und deren Einsatzradius 350-360 Kilometer beträgt.
Am 16. Juni 2023 bestätigte die russische Seite offiziell den Beginn der Verbringung von Atomsprengköpfen nach Belarus. Lukaschenko hat erklärt, die Waffen befänden sich bereits im Land; die genaue Anzahl und der Standort der Sprengköpfe werden jedoch geheim gehalten. Wie Wladimir Putin wiederholt betont hat, behält Russland jedoch weiterhin die volle Kontrolle auch über die in Belarus stationierten Atomsprengköpfe. Dies entspricht der internationalen Praxis der Atommächte, die Kontrolle über die Waffen nicht an Drittländer abzugeben.
Am 7. Mai 2024 kündigte Alexander Lukaschenko eine sofortige Überprüfung der Einsatzbereitschaft der in Belarus stationierten Atomwaffen an. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Minsk wurden eine Abteilung des operativ-taktischen ballistischen Raketensystems Iskander und ein Geschwader von Su-25-Flugzeugen in Alarmbereitschaft versetzt. Es hieß, „das gesamte Spektrum von Aktionen, von der Planung und Vorbereitung bis hin zu Schlägen mit taktischen Atomwaffen“ solle getestet werden. Lukaschenko selbst bezeichnete die in Belarus stationierten Waffen als „nicht-strategische Atomwaffen zur Abschreckung und Verteidigung“.
Nach Angaben der Eisenbahner-Gewerkschaft von Belarus sollte die Einfuhr von TNW-Komponenten auf dem Schienenweg nach den ursprünglichen russisch-belarussischen Plänen in zwei Phasen erfolgen: im Juni 2023 und im November 2023. In diesen Phasen sollten insgesamt 32 Wagons mit TNW-Komponenten sowie Begleitwagons geliefert werden. Darüber hinaus war aber auch die Lieferung von weiteren 18 verschiedenen Spezial- und Begleitwagen geplant.
So wurden beispielsweise einige Teile, Komponenten und Ausrüstungen für diesen Waffentyp bereits im Juni 2023 im Rahmen der ersten Lieferphase am Bahnhof Prudok (Zweigstelle Witebsk des BZhD) an die Militäreinheit 94017 (2631 I Luftwaffenstützpunkt für Raketenwaffen und Munition) geliefert. Wie wir sehen, ist Prudok der erste Anlieferungsort im Hoheitsgebiet von Belarus, von wo aus das Material je nach Typ auf Lager an Stützpunkten militärischer Spezialeinheiten weitertransportiert werden.
Neben der Erstanlieferung und Umverteilung von Atomsprengköpfen dienen der Bahnhof Prudok und die Militäreinheit 94017 (Luftwaffenstützpunkt für Raketenwaffen und Munition 2631 I) als Übungsstützpunkte für das Ent- und Beladen, die Sicherheit und die routinemäßige Wartung. Diese Einrichtungen wurden in der Vergangenheit vom Militär zusammen mit Bahnpersonal genutzt, um den Umgang mit Spezialausrüstung zu üben. Gleichzeitig wurden geheime Bahnkommunikationsstellen (SRCPs) geschaffen, von denen sich eine unter dem Gebäude des Erholungscamps für Kinder in Lettsy (Witebsker Zweig der belarussischen Eisenbahn) befindet.
Darüber hinaus setzt Belarus die Stationierung von operativ-taktischen Raketensystemen des Typs Iskander-M fort. Der Gefechtskopf der Raketen dieser Bauart kann u.a. mit taktischen Atomsprengladungen bestückt werden.
Um ein Höchstmaß an Geheimhaltung zu gewährleisten, werden TNW-Einheiten in kleinen Gruppen von 3-6 Wagons mit einer separaten Lokomotive geliefert. Gleichzeitig werden die einem solchen Zug am Ausgangsbahnhof zugewiesenen Nummern und Kennzeichnungen jeweils geändert, bevor er die Eisenbahn-Knotenpunkte sowohl im Netz der Russischen Bahn bzw. die russisch-belarussische Grenze passiert. Wenn also ein an einem Bahnhof der Russischen Eisenbahn gestarteter Zug mit Sonderwagen die nach Moskau führende Strecke kreuzt bzw. bevor er den ersten Güterbahnhof auf dem Gebiet von Belarus erreicht, ändert der Zug seine Nummer und Kennzeichnung. Bei jeder solchen Änderung von Nummer und Kennzeichnung wird auch die Angabe des Abfahrtsbahnhofs und des Zielbahnhofs geändert.
Es gab weitere Transporte von TNW-Komponenten. Vom 15. bis 24. September 2023 wurden insgesamt 26 Wagons, die entweder dem Transport von TNW-Komponenten oder von Personal bzw. als Begleit- und Schutzwagen dienten, von den Bahnhöfen der russischen Eisenbahnen Tscheboksary (Gorkowskaja-Eisenbahn) und Potanino (Süd-Ural-Eisenbahn) nach Belarus befördert. Zielbahnhof der Waggons war stets Prudok (Witebsker Zweig der belarussischen Eisenbahn – NOD-6).
Im Jahr 2024 wurden rund 9 Monate lang russische Waffen und Munition von Russland nach Belarus geliefert. Einer der Bestimmungsorte war wieder der erwähnte Bahnhof Prudok (Witebsker Zweig der belarussischen Eisenbahn – NOD-6), der eine Abzweigung zu den Zufahrtsstraßen zur Militäreinheit 94017 des RB MoD hat (2631. Luftwaffenstützpunkt für die Lagerung von Raketenwaffen und Munition).
Nach Angaben von Bahnbeamten erreichten im Juni-August 2024 insgesamt 49 Wagons per Bahn das oben genannte Luftwaffenarsenal, davon 6 geschlossene Wagons für die Beförderung von Begleitpersonen sowie 5 Wagons und 38 Gondelwagen für den Transport von Material der ersten Gefahrenklasse – Sprengstoff. Das geschätzte Gewicht der gelieferten Ladung (Raketenwaffen) beträgt etwa 1.100 Tonnen. Die Eisenbahner-Gewerkschaft in Belarus geht davon aus, dass all diese Transporte etwas mit russischen taktischen Atomwaffen in Belarus zu tun haben.
Darüber hinaus führt die belarussische Eisenbahn sogenannte „Personalsäuberungen“ durch. Jeder Verdacht auf Illoyalität gegenüber dem derzeitigen Regime führt zur sofortigen Entlassung unabhängig von der Arbeitsleistung der betreffenden MitarbeiterInnen. Auch EisenbahnerInnen, die für die Nominierung von Alternativkandidaten zu Lukaschenko unterschrieben hatten, wurden entlassen.
Abschließend lässt sich sagen, dass die belarussische Eisenbahn nazu alle Vorbereitungen getroffen hat, um die Sicherheit und Geheimhaltung des Transports taktischer Atomwaffen von Russland nach Belarus zu gewährleisten.
Schlussfolgerungen
Die Stationierung russischer taktischer Nuklearwaffen in Belarus ist ein entscheidender Schritt, der die militärischen Spannungen in der Region verschärft und die Eskalationsrisiken erhöht. Für Belarus hat diese Entscheidung mehr Gefahren als Vorteile mit sich gebracht: Das Land ist zur „Geisel“ der russischen Nuklearstrategie geworden, die seine Unabhängigkeit und Sicherheit untergräbt.
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Credits: David James Paquin von smdc.army.mil via commons.wikimedia.org